matthias

Matthias, geboren '53, überlegt lange, bevor er antwortet und gießt seine Sätze auf wie einen edlen Tee. Weil er den NVA-Wehrdienst verweigerte, durfte er nicht studieren und ließ sich zum Gärtner, Blumenbinder, Arbeitsplatzgestalter ausbilden. Umfangreiches Wirken als Umwelt- und Friedenspolitaktivist. Außerdem Maler, Grafiker, Autor und Herausgeber.

 

 

DIE GEFÜHLSAMPLITUDE UND DER HUMORSCHWINGUNGSKOEFFIZIENT

 

 

 

Ach, ich bin doch auch nur mit Humor zu ertragen. Wie könnte ich's so lange mit mir aushalten, wenn ich selbst keinen hätte? Humor bedeutet doch: wach zu sein, den Schalk im Nacken zu behalten. Humor heißt, dass einem das Lachen gelingt, auch wenn's das Leben mal mies mit einem meint. Das kann man sich nicht vornehmen: humorvoll zu sein. Das ist eine Grundhaltung.

 

Obwohl wir hier früher nicht ungedingt in Bananen untergegangen sind, hab ich genau das tatsächlich mal miterlebt, den Klassiker: Damals vierte Klasse, da ist ne Mitschülerin auf der Bananenschale ausgerutscht, ganz böse, Bein gebrochen. Da haben welche gelacht! Denen hab ich Prügel angedroht.
Viel zu oft hört man dieses Wiehern. Das ist so eine laute Geräuschabsonderung ohne jede Herzensbeteiligung. Wird gern verwechselt mit Humor. Ist aber kein Humor. Das ist Lachen auf Kosten Dritter. Ich finde, es gibt nur eine Situation, in der es gestattet ist, über den Schaden eines Menschen zu lachen: wenn's der eigene Schaden ist.


Eine Frau in meinem Leben, vielleicht die Frau überhaupt, die sagte zu mir: Das darfst du auch nur, weil du gelernt hast, dir selbst auf den Kopf zu spucken. Die ist immer hart mit mir ins Gericht gegangen, aber manches hat sie mir zugestanden, eben weil ich über mich selbst lachen konnte. Das mochte sie. Das war wichtig. Überhaupt kann ich mir keine Beziehung ohne Humor denken. Unvorstellbar. Ich kann eigentlich gar keine Sozialität ohne Humor denken und erst recht nicht das Allernähste, die möglichst kongeniale Zweisamkeit. Beziehung, ohne Humor, nein. Das ist ja nicht nur Anhimmeln und Zärtlichkeit, das ist vor allem ja auch: laut miteinander lachen können. Klar, dass es da auch um die Humorfrequenz geht, sozusagen um den gleichen Schwingungskoeffizienten, ha!

 

Damals, in Erfurt, in der Zeit der Donnerstagsdemos, da gab es einen Bewegungshunger und es ging um das Gefühl des einzelnen in der Menge, da war mir schon manchmal mulmig. Als Redner kann man das für sich benutzen, kann die Menschen aufwiegeln. Ich mochte immer die Redner, die es geschafft haben, dass die Leute am Ende lächeln, das nimmt das Aggressionspotenzial. Wenn die Leute gespannt bleiben, kritisch, aber eben am Ende der Rede lächeln können, dann schlägt die Stimmung nicht in Gewalt um.

 

Humor hat einen Bruder, der sieht ihm ziemlich ähnlich und der heißt Zynismus und der wiederum hat einen Bruder, der heißt Sarkasmus. Und die können beide lustige Sachen, nur nicht in dem Sinne, dass sie Freude hervorbringen.


Ich halte viel vom freudvollen Leben. Ich glaube, das wird belohnt, wenn man dem Leben nicht abgetan ist, seinen Freuden. Spaß ist dabei nur ein Moment, der die Freude kitzelt. Freude ist nicht unbedingt Gelächter, Freude ist Genuss. Ist, sich in den Arm zu nehmen und in die Augen zu sehen.

So eine Situation, in der man sich selbst Abseits stellt, das ist mir ja nicht fremd. Also etwas zu denken, dafür einzutreten und dann zu merken: Mh, war vielleicht nicht so dolle, wie ich dachte. Da hab ich schon auch mal versucht, mich mit Witzen zu retten. Merkt man aber schnell: Wenn keiner mitlacht, wenn du jeden Witz erklären musst.


Eigentlich ist's immer gut, aber besonders, wenn man es mit revolutionären Umbrüchen treibt, mit Selbstvertrauen ausgestattet zu sein. Bevor wir den Rückzug antreten, können wir's ja noch mal mit dem heiligen Größenwahn probieren, hat meine Liebste mal gesagt. Da bin ich unbedingt dafür!

 

Wer viel redet, sollte auch viel Zeit haben, das kritisch zu prüfen, was er da losgelassen hat. Selbstkritik ist ja kein Spiel. Das spiele ich nicht, das muss ich einfach aushalten. Wer seinen Mund so weit aufmacht, Pastor, Politiker, Schauspieler oder Autor, der muss die Fähigkeit kultivieren, hart mit sich ins Gericht zu gehen. Und das eben nicht nur als Rollenspiel, wo ich meine inneren kleinen Kasperlefigürchen gegeneinander antreten lasse und im Ungefähren bleibe, im Tri-Tra-Tralala, sondern konsequent. Knochenhart!
Ich komme meinem Anspruch da übrigens selbst nur manchmal nahe. Ist auch nicht einfach. Wenn ich mich selbst beurteile in diesem Ganzen, sehe ich eigentlich nicht besonders gut aus. Das kann natürlich schmerzhaft sein. Aber wenn's mich beißt, wenn's über mich kommt, das Leid, dann gibt es immer diesen einen Trick: Ich stelle mir vor. Anderes, andere Situationen, wie schlecht es anderen geht. Ich setze ins Verhältnis, das rückt einen zurecht. Mich jedenfalls. Hätte ja alles auch anders kommen können, ich selbst hätte in einem Lager enden können, was jammere ich also herum? Ich kann mir das Schlimmste vorstellen und plötzlich bin ich wieder heilfroh über die Situation, wie ich sie erleben darf.

 

Ich habe mal einen Film über afrikanische Kinder und ihren Hunger gesehen. Das hat mich wirklich mitgenommen und ich war eigentlich entschlossen, etwas zu unternehmen. Aber zu der Zeit bekam ich unwahrscheinliche Zahnschmerzen. Und dann waren es nur noch diese Zahnschmerzen, die mich beschäftigt haben. Dafür hab ich mich geschämt, aber so ist das eben auch. Wie man es so sagt: Da wo's weh tut, tuts am wehsten. Und deine scheißkleinen Zahnschmerzen, die sind dir in dem Moment eben viel näher, als ein großes Leid tausende Kilometer weit entfernt. Das ist schrecklich. Aber menschlich.

 

Ich hatte immer gehofft, dass mit den Jahren das Fell dicker würde, dass man im Alter die Dinge in einem würdigen Abstand betrachten könnte, dass einen nicht mehr alles so angreifen würde. Aber es ist genau andersrum. Mit den Jahren wird die Haut dünner. Ich werde immer empfindlicher. Die Fähigkeit, Missverständnisse so zu begreifen, dass sie auch garantiert Missverständnisse sind, wird größer, nicht kleiner!

 

Humor zu haben in eigentlich aussichtslos humorlosen Situationen, das kann einem das Leben retten. Wer mit dir lacht, dem fällt es außerordentlich schwer, dich zu schlagen. Ich habe mal drei Tage in einem Knast in Warschau eingesessen und da konnte ich das erfahren: Es ist mir irgendwie gelungen, zu zwei Personen Kontakt herzustellen, ein Offizier und ein Schließer. Wenn du das schaffst und du dein Gegenüber zu einem Lächeln verführen kannst, dann hast du viel gewonnen. Mir hat das damals Misshandlungen erspart, da bin ich sicher.

 

Das erschreckt mich, das macht Angst, wenn mir jemand sagt: Du siehst traurig aus, du lachst nicht. Das ist schon vorgekommen, solche Zeiten und es hatte den Anschein, mir sei ein Stück Lebensfreude verlustig gegangen. Und das ist etwas, womit ich nicht einverstanden sein kann. Es gibt Situationen der Trauer, die lassen Freude nicht zu, das ist eben so. Aber darin hängen zu bleiben, das ist falsch! Das muss man sich zurückerobern, diesen Teil des Lebens, seine Freude. Den Humor. Darum sollte man wenigstens immer bemüht sein.

 

Ich glaube, es ist diese Ahnung von der Leere, die mich treibt, die Freude nicht verlieren zu wollen.

 

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Sara (Freitag, 24 Oktober 2008 23:12)

    "..der, wenn sein Traum die Wahrheit trifft, noch lachen kann, wenn auch zu laut."

    Tja, also ich find Matthias toll.
    Schon allein weil ich später ganz sicher auch mal in so´m Korbstuhl sitzen und alles voller Bücher haben will.
    Aber ich fürchte bei mir wird´s weniger schick sein, um einiges unordentlicher und auf jeden Fall werde ich meine pessimistische Grundhaltung niemals ganz ablegen. Aber damit kann ich leben.
    Obwohl...