jost
Jost ist freier Künstler. Maler, Grafiker. Er hat ein großes, wunderbar ruhiges Atelier in einer winzigen, muffigen Stadt, "in der mich nichts ablenkt". Ich fühle mich ungewohnt wohl bei ihm. Er soll mich zeichnen. Auftrag der Stadt Erfurt. Wir reden lange und viel, Jost stellt fast mehr Fragen als ich und sieht mich viel an beim Zuhörn.
BIS ZUM HEISERWERDEN
Ich bin dreizehn, steh auf meinem Bett und schreie. Ich steh so da und denke: das Leben kann ja jetzt gleich vorbei sein oder in zwei Stunden oder Übermorgen. Und ich hab noch so viel Energie in
mir, es wär doch schade, wenn das, was ich in mir habe, nicht genutzt werden würde. Das kam so wie ein Gong, eine völlig spontane Idee, ich hab gedacht: wenn du jetzt stirbst, dann nutz doch
wenigstens noch deine Stimme aus. Und ich hab geschrien, so laut, so lange, bis zum Heiserwerden. Dass das wenigstens noch da ist, meine Stimme, in der Welt sozusagen.
Damals hab ich ja auch noch nicht gemalt.
Das ist das Verrückte für mich. Ich mache hier was ganz eigenes, was eigentlich nur mich angeht und dann kommt jemand und sagt: genau so isses, genau das isses. Ich komm hier in mein Atelier und bin beschäftigt mit meinem Leben, meinen Gedanken und arbeite für eine ganze Weile lang an einem neuen Bild, das kommt alles aus mir, aus meinem Unterbewusstsein oder sonstwoher. Und dann kommt jemand von draußen, von ganz weit weg und sagt: genau dieses Bild, das brauche ich für meine nächste Lebenszeit.
Ich hab neulich einen befreundeten Chirurgen getroffen, mittags, war ein wunderschöner Tag. Um ihm zu zeigen, in welchem Termindruck ich bin, sag ich: Kannst dir vorstellen, ich war heut noch
nicht mal spazieren. Und da hat er mich angeguckt: Na, ich ooch nich!!
Wenn das ein Außenstehender hört, meinen ureigenen Rhythmus, mit morgendlichem Spaziergang und so, dann denkt der: na, der hat ein Leben! Das ist natürlich die andere Seite: ja, es ist luxuriös, sich
so viel mit dem eigenen Schaffen und Denken beschäftigen zu können. Und nicht zu vergessen ist diese ganz bestimmte, diese so besondere, einzigartige Befriedigung. Das lädt alles auf, alles, immer
wieder. Und das ist nicht zu erklären, nicht in Worte zu fassen.
Andererseits diese Unruhe, diese innere Unruhe. Was hat neulich eine Freundin von mir gesagt? „Wenn wir miteinander reden hab ich immer das Gefühl, du wartest ja nur darauf, dass du wieder
weitermachen kannst." Ja, Scheiße irgendwie! Aber es ist schon so, dieses „Anmalen gegen die Zeit", gegen das Ende, na klar. Und dann ist es ganz einfach ein bisschen beruhigend, wenn man wieder was
in die Welt gesetzt hat, was dann einfach da ist.
Und der ganz alltägliche Druck: man beginnt den Tag irgendwie, macht was und hat keine Ahnung, ob sich das jemals mit klingender Münze auszahlen wird, ob man davon die Wohnung, die Versicherung, das
Essen aufm Tisch wird bezahlen können. Trotzdem macht man das. Alle Vernunft spricht dagegen. Diese Existenzangst, diese Unsicherheit, das ist manchmal so evident, dass das alles überdeckt, dass man
einfach nur noch hinabsinken und sich betäuben will. Dass man einfach mal aus dieser ständigen Anspannung rauskommen will.
Eigentlich kein leichtes Leben. Aber geht nicht anders. Muss eben dieses sein.
Ja, es gab schon eine gewisse Einflussnahme durch mein Elternhaus. Wir haben sonntags zum Beispiel immer Malkonzert gemacht. Haben uns gegenseitig gemalt oder irgendwelche Stilleben. Und mein Vater natürlich! Der hat immer gezeichnet, wo er auch war, einfach immer. Und eben mein Aufwachsen mit seinen Skizzenbüchern. Wie andere Fotoalben angucken, hab ich eben Skizzenbücher angeguckt.
Eigentlich war mein älterer Bruder das Wunderkind. So eine Art Mozart für die Malerei. Der war gleich nach der Schule überall anerkannt, wurde gekauft, hofiert, wurde n Film gedreht über ihn. Da hieß
es immer von den Eltern: reicht doch ein Maler in der Familie, reicht doch einer, der so was Unsicheres macht. Wirkte vielleicht auch so, als wollte der Kleine jetzt eben hinterher, weil er den
Großen so bewundert. Aber ich wusste ja, dass es sein muss, dass es das eben ist und dann bin ich in der elften Klasse heimlich nach Leipzig und hab mich beworben an der Kunsthochschule.
Gefährlich sind die Höhen. Weil man da immer wieder hinwill.
Falco, dieser Sänger, der hat, als er hörte, dass er in den USA Nummer eins ist, plötzlich das große Zittern bekommen. Wie will ich das nochmal erreichen? Diese Höhe. Auf ner anderen Ebene geht mir
das auch so: wenn ich was verkauft oder ne gute Rezension bekommen hab. Gerade dann kann ich nicht in Cafés rumsitzen und high life machen. Nee, da denk ich dran: jetzt ist das Bild weg, jetzt ist ne
Lücke entstanden, da muss wieder was rein. Das klingt so kokett, wenn man das so sagt, aber das ist Fluch und Segen und was weiß ich.
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Sara (Dienstag, 02 Dezember 2008 16:11)
"Das lädt alles auf, alles, immer wieder."
Einfach toll...